Proust(e)kuchen

Es wurde zu einer schweren Enttäuschung für den Professor: „Ich habe Ihnen Madeleines mitgebracht!“ hatte er gerufen, als er zur Tür hereingeschossen war. Stolz und voller Erwartung blickte er uns an. Madeleines! Über die Proust so ausführlich geschrieben hatte! Madeleines!

Und was gaben wir Studenten ihm zur Antwort? Kein „O, merci!“ oder „Wundervoll!“ oder auch nur „Vielen Dank.“

Sondern: „Wir haben uns gerade Pizza bestellt.“

Zugetragen hat sich diese Episode vor etwa 20 Jahren. Meine Erinnerung sagt mir nicht mehr, ob wir die Madeleines noch als Nachtisch verspeist haben oder nicht. Wir hatten tage- und nächtelang gearbeitet, um eine Studentenzeitung aus der Taufe zu heben. Wir waren müde. Wir hatten Hunger.

Wir hatten Pizza.

Madeleines, und das weiß ich hingegen ganz sicher, hatten mich schon vor diesem Tag kaum interessiert – und danach taten sie es auch nicht. Schon rein optisch konnte ich der kleinen Teigmuschel wenig abgewinnen. Egal, ob ich sie damals probiert habe oder nicht: Auch geschmacklich hatte ich kein Interesse daran.

Bis vor einer Woche.

Bis auf dem Frühstücksbuffet im Hotel in Barcelona eine Etagère mit kleinen Küchlein auftauchte. Das heißt, die Etagère hatte da jeden Morgen gestanden und alles, was ich bis dahin von ihr genommen hatte, war herrlich gewesen. Also probierte ich auch von den kleinen Teilchen in Schiffchenform.

Sie waren köstlich. Sie waren butterig. Sie waren mandelig.

Es waren allerdings keine Madeleines.

Ich habe sie fälschlicherweise dafür gehalten.

Wenn Madeleines so super sind, hatte ich gedacht, dann lohnt es sich, sie doch auch mal zu backen. Ich habe zwar keine Schiffchenförmchen, aber, wie wir wissen, inzwischen ein Blech für Financiers. Und ich war mir sicher, dass das für den ersten Versuch auch genügen würde.

Tat es auch. Beim Rezept habe ich ausnahmsweise mal nicht Ottolenghi befragt, sondern etwas Originales gesucht und auch gefunden. Sogar mit Proust-Verweis.

Geklappt hat das alles auch wunderbar. Nur leider war das Ergebnis so gar nicht butterig. Oder mandelig. Sondern halt madeleinig.

Ein okayes, kleines, helles Küchlein, für das ich mich jetzt hinterher genauso wenig interessiere, wie vor 20 Jahren. Ein Blech werde ich mir dafür bestimmt nicht kaufen. Wiederholen werde ich es vermutlich auch nicht.

Bleiben zwei Fragen für mich offen. Zum einen: Was lag da auf dem Frühstücksbuffet?

Zum anderen: Was hat sich Proust eigentlich dabei gedacht?

6 Gedanken zu “Proust(e)kuchen

  1. Tja, Proust befragen geht ja schlecht…
    Ich empfehle hingegen ein freundliches Schreiben an das barcelonesische Hotel mit der Bitte um Lüftung des Geheimnisses….
    Vielleicht sind sie ja so begeistert über Deine Begeiterung, dass sie gleich noch das Rezept mitliefern….Selbstverständlich auf Catalan…

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